29.05.2018 / Agenda Liesing

Aztgersdorf International

Stadt bedeutet Vielfalt. Eine Vielfalt an Menschen mit unterschiedlichen Charakter, Talenten, Herkunft und Lebensläufen. Beim Grätzlspaziergang „Atzgersdorf International“ durften wir interessante Projekte kennenlernen und in spannende Lebensgeschichten eintauchen. 

Erste Station war das interkulturelle Wohnprojekt Globaler Hof. Im „Multikultidorf mitten in Liesing“ (c derStandard) leben Menschen aus 18 Nationen. Doris Brandl fördert mit dem Verein „Miteinand“ den interkulturellen Dialog im und auch außerhalb des Hauses. Im Stiegencafé berichtete Stadt- und Migrationsforscherin Amila Širbegović zu aktuellen Tendenzen der Migration in Wien, wie Menschen mit Migrationshintergrund wahrgenommen werden und das Leben in der Stadt prägen.

Anschließend ging es in das Herz von Atzgersdorf, die Levasseurgasse, wo Herr Avci, Betreiber des Restaurant Derwisch von seinem Weg von der türkischen Mittelmeerküste nach Wien erzählte. Heute engagiert er sich im Grätzl und stellt das Geschäftslokal auf der gegenüberliegenden Seite der Lokalen Agenda zur kulturellen Zwischennutzung zur Verfügung.

Vom anderen Ende der Türkei, einem kurdischen Gebiet rund 1500 Kilometer weiter östlich stammt Kemal Soyulu. Er ist ein Agendapionier und aktives Mitglied in der Gruppe zum interkulturellen Dialog. Als umtriebiger Kulturschaffender leistet er einen wichtigen Beitrag zur Vielfalt des kulturellen Lebens in Wien und damit auch zum gegenseitigen Verständnis zwischen den Bevölkerungsgruppen.

Mehr als 20.000 Kinder von österreichischen Müttern und alliierten Soldaten kamen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Österreich auf die Welt. Lange Zeit wurden sie von der Gesellschaft angefeindet, insbesondere traf es jene mit einer dunklen Hautfarbe. Ein Schicksal das Christine Mijka, Hausmeisterin und später Bezirksrätin in Liesing trotz vieler Schwierigkeiten zu meistern musste. Sissi Kamper, erzählte die Geschichte ihrer Mutter, und wie dies ihre Kindheit und Jugend in Atzgersdorf prägte. Im Gespräch wurde deutlich, dass der Weg zu einer offenen und toleranten Gesellschaft, in der sich Menschen unabhängig ihres Aussehens und ihrer Herkunft begegnen noch nicht zu Ende ist. Sissi Kamper arbeitet wie viele LiesingerInnen mit ihrem täglichen und politischen Handeln an diesem Ziel.

Letzter Halt widmete sich einem Kapitel der jüngeren Geschichte Liesings. Die Gruppe macht dazu Halt vor eine Baugrube. 2016 wurde an dieser Stelle ein leerstehendes Bürogebäude zur Flüchtlingsunterkunft Zieldergasse zwischengenutzt. Dies sorgte einerseits für viele Diskussionen und Ablehnung, andererseits wurde das große soziale Engagement der LiesingerInnen mobilisiert. Die Nachbarschaftsinitiative Ziedlergasse setzte vielfältige Projekte um - Sprachcafé, gemeinsame Ausflüge, Bau- und Radreparaturworkshops und Feste. Raad Ramadan lebte über ein Jahr in der Flüchtlingsunterkunft Ziedlergasse und man kennt ihn von Agendaveranstaltungen. Seine Zeit hier beschreibt er mit „Warten“ -  Warten auf den Deutschkurs, Warten auf Bescheide, Warten darauf, zu wissen, wie es weitergeht. Für ihn waren die Aktionen der Lokalen Agenda eine willkommene Abwechslung und die Möglichkeit Menschen kennenzulernen und Deutsch zu lernen. Heute arbeitet Raad ehrenamtlich bei der Caritas, besucht täglich den Deutschkurs und dazwischen wartet er wieder auf den Bescheid, der über seine Zukunft entscheiden soll.

Für die TeilnehmerInnen war der Spaziergang ein besonderes Erlebnis. Es waren einzigartige Geschichten und Begegnungen. Dennoch sollte der Spaziergang nicht einmalig sein, vielmehr alltäglich. Nehmen Sie sich die Zeit, verabreden sie sich mit ihrer Nachbarin oder ihrem Nachbar zum Spaziergang und hören sie sich die Geschichten an. Sie werden merken, wie schön es sein kann, in einem vielfältigen Stadt und Bezirk, wie Liesing zu leben.